Zur Ausstellung
Stadtmuseum Siegburg 2004
Faszination der Farbe
Stadtmuseum Siegburg/Ausstellungskatalog 2004
zum Werk der Künstlerin Dagmar Schmidt von Dr. Ulrich Bock
Als geschlossene Werkgruppe präsentieren sich die Arbeiten, die Dagmar Schmidt in den letzten Jahren schuf. Es sind Bilder, die vom strukturbildenden Merkmal der Farbe leben, deren intensive, fluoreszierende Leuchtkraft ein hervortretendes Merkmal darstellen. Changierende Farbvaleurs - vornehmlich im Spektrum von Rot-Gelb, Violett-Türkisblau und Grün-Rosa - verdichten sich zu einem suggestiven Gesamteindruck, der langjährige Experimente und Erfahrungen mit den Wirkungen sich überlagernder Farben voraussetzt.
Eine außergewöhnliche Sensibilität für Farben charakterisiert die Kunst Dagmar Schmidt's von Anfang an. Bereits bei einer ihrer ersten Ausstellungen im Jahre 1983 hob die Kritik "das lebendige Farbenspiel ihrer Aquarelle und großformatigen Acrylbilder" hervor und lobte die "heiteren, Ruhe ausstrahlenden Zusammenklänge der Farben". Ihr Bestreben, die Ausdrucksmöglichkeiten der Farbe noch zu steigern, führte Dagmar Schmidt schließlich zur Gouache-Malerei, die sie als die ihr wesensgemäße Technik zur differenzierten, ausbalancierten Farbnotation erkannte. Gouachen ermöglichen weiche, aber nicht verlaufende Farbaufträge, mit denen sich eine kreideartige, pastose Wirkung hervorrufen läßt. Durch Überlagerung mehrerer Farbschichten erzielt Dagmar Schmidt eine helle, zarte, 'duftige' Farbigkeit, die von changierenden Farbtönen innerhalb eines Farbfeldes getragen wird. Die miteinander verwobenen und in unterschiedlicher Intensität hervortretenden Farben erzeugen weiche, konturlose Übergänge zu den angrenzenden Kompositionsfeldern. Kontraste werden so gemildert oder sogar einem farbigen Gesamtklang harmonisch untergeordnet, so daß selbst an sich gewagte Farbkombinationen - man nehme etwa Grün und Rosa - wie selbstverständlich realisierbar sind. Da harte Linien, die als graphisches Gerüst Umrisse festlegen und Farbfelder abgrenzen, fehlen, entstehen Momentaufnahmen miteinander kommunizierender Farben, denen gerade im Bereich der Ränder etwas Flüchtig-Ephemeres anhaftet. Die Farben wirken, als würden sie im Augenblick eines luftig-leichten Schwebezustandes erfaßt.
Die Farbe stellt im Werk von Dagmar Schmidt einen Wert an sich dar, aber sie steht nicht für sich. Eingebunden in eine vornehmlich horizontal aufgebaute organisierte Formstruktur ist sie das Resultat eines hohen Abstraktionsprozesses, der im Naturhaft-Gegenständlichen gründet. Ausgangspunkt sind Landschaften, Architekturen und stillebenhaft anmutende Arrangements von Bazarständen oder fernöstlichen Opfergaben, deren bereits kunstvolle Anordnungen Dagmar Schmidt inspirierten. Von Anfang an waren es vor allem Reiseeindrücke, welche die Künstlerin in die subjektive Weltsicht ihrer Bilder übertrug, wobei in den zurückliegenden Jahren in erster Linie Ägypten und Bali das Farb- und Motivrepertoire stellten, aus dem sie schöpfte.
Eine Sequenz von Bildern ist der Wüstenlandschaft und Lehmarchitektur Nubiens gewidmet, deren Farben - Gelb, Orange-Rot, Ocker und Türkisblau - expressiv zur Geltung kommen. Als collagenartige Bestandteile der Bildkomposition erscheinen Kuppeln, Portale, orientalische Ornamente von Fensterfüllungen und Torgittern, sei es als selbständige Motive oder als strukturierende Füllungen bzw. Überschneidungen offener Farbfelder. In einer weiteren Bilderreihe werden Eindrücke aus Kairo visualisiert. Identifizierbare architektonische Formen wie Glockentürme, Portale und Rundbögen - Impressionen aus dem koptischen Viertel - akzentuieren die Bildkompositionen, lilienförmige Zinnen, wie sie als charakteristische Elemente islamischer Architektur etwa die Sultan Hasan-Medrese zeigt, rhythmisieren in friesartiger Reihung die Bildstruktur. Auch der Gewürzbasar kommt in seiner orientalischen Faszination zur Geltung. Hier beeindruckte Dagmar Schmidt die exotische Fremdheit so manchen Warenangebotes, das sie in stark abstrahierten Farbsetzungen veranschaulicht - wie etwa zu einer Naturemorte zusammengebundene Fledermäuse, die wohl im Rahmen magischer Praktiken ihre Abnehmer finden.
Farbimpressionen ganz anderer Art brachte Dagmar Schmidt von einer Bali-Reise mit. Gewässerte Reisfelder im Terrassenanbau animierten sie zu abstrakten Farblandschaften in Türkisblau und Grün, die im Wechsel von verästelten grünen oder blauen Lineaturen mit jeweils reziproken Farbflächen noch die Flutungsstände der Anbauflächen spiegeln. Kombiniert mit diesem Spiel der Linien und Flächen, sodann in eigenen Bildsequenzen erscheinen des weiteren in Farbvariationen aufeinander abgestimmte geometrische Formen wie Dreiecke, Kreise, Rechtecke, Quadrate in Schachbrettmusterung sowie übereinandergeschichtete, im Umriß einer Sichel ähnliche waagerechte Flächen. Es handelt sich hier um auf Grundformen reduzierte Motive, konkret, um Opfergaben, die bei hinduistischen Festen in kunstvollen turmartigen Arrangements in den balinesischen Tempeln aufgebaut werden. Diese setzen sich vornehmlich aus Reis (Puffreis und Reisteig), Früchten und Blättern exotischer Pflanzen zusammen, wobei spitze, farbige Kegel aus Reisteig, zu Mustern gefügt, einen optisch bestimmenden Eindruck hinterlassen. Diesen Kegeln entsprechen die Dreiecke, die Dagmar Schmidt als Einzelmotive, in waagerechten Reihungen oder in schuppenartiger Anordnung auf der Leinwand placiert. Weiterhin lassen sich die Schachbrettmuster als Opfergaben aus Puffreis, die Farbkreise als exotische Früchte und die sichelförmigen Gebilde als übereinandergestapelte Opferschalen identifizieren.
Hervorzuheben ist, daß Dagmar Schmidt auf Bali sich nicht von den einzelnen Opfergaben, sondern von ihrer pittoresken Zusammenstellung beeindrucken ließ. Sie konnte bereits auf ornamentale Kompositionen zurückgreifen, die - wenn auch von kurzlebigem religiösen 'Gebrauchswert' - vom Gestaltungswillen einer regionaltypischen Volkskunst getragen werden. Die vorgefundenen Arrangements hat sie, ähnlich wie die Surrealisten ihre Objets trouvées als künstlerische Gestaltungsmittel einbrachten, in ihre abstrakte Bildordnung übertragen und ihre Essenz, das Zeitlose wie Wesenhafte, nicht zuletzt geleitet von einem künstlerisch-ethnographischen Interesse, herauszukristallisieren vermocht. Zur Steigerung wie Präzisierung der künstlerischen Aussage sprengte sie dabei konsequent die Normen konventioneller Bildformate: Mit den schmalen, hochrechteckigen 'Bildsäulen' sowie dem 14teiligen Bildobjekt des "Götterturms" - er besteht aus waagerecht übereinandermontierten spitzovalen Bildscheiben - schuf sie proportionsgerechte Äquivalenzen zum Motiv der turmartig aufgebauten Opfergaben wie auch zu vergleichbaren Strukturen abgetreppter Reisfeld-Terrassierungen Balis.
Die Ägypten- wie die Bali-Bilder dokumentieren sehr eindrucksvoll Dagmar Schmidt's Fähigkeit, ihre Werke in reiner Farbe aufzubauen. Sie steht damit in der Tradition des Expressionismus, deren Künstler die Farbe vor 100 Jahren als selbständiges 'Sprachmittel' zur Steigerung des Ausdrucksgehaltes für sich entdeckten. Nicht von ungefähr ergeben sich hier auch Parallelen hinsichtlich der Bedeutung der Reisen als Inspirationsquelle. Sehgewohnheiten aufzubrechen, neue Farb- und Lichterlebnisse auf sich wirken zu lassen und künstlerisch zu verarbeiten, das verbindet - auch in der kulturlandschaftlichen Nähe - Dagmar Schmidt's Ägypten- mit Klees und Mackes Tunisreise. Für Klee bedeutete sie 1914 den Durchbruch als Maler. Er entdeckte die Farbe als zentrales Gestaltungsmittel für den Bildaufbau und als Ausdrucksmittel für eine 'poetische' Bildwirkung - eine Entdeckung, die auch den künstlerischen Werdegang von Dagmar Schmidt bestimmte.
Neben der augenfälligen Wesensverwandtschaft mit der Kunst des Expressionismus läßt sich mit der Stilrichtung der 'Patterning Art' eine weitere Kunstströmung des 20. Jahrhunderts benennen, die zumindest eine Affinität zum Werke Dagmar Schmidt's aufweist. Die Ende der 1970er Jahre von Amerika ausgehende Muster- bzw. Dekorationskunst findet gerade dort, wo sie von expressiver Farbigkeit lebt, eine Entsprechung in den Reihungen, Rapporten und antithetischen Setzungen ihrer Ornamentik. Während aber die teppich- bzw. tapentenhaft angeordneten Ornamente der Patterning Art eher als zierhafte Muster, denn als deutbare Zeichen anzusprechen sind, bleibt bei Dagmar Schmidt der Bezug zum realen Gegenstand in der Regel gewahrt, auch wenn sich Landschaften, architektonische Elemente oder balinesische Opfergaben dem Betrachter ohne Vorwissen kaum als solche erschließen. Dafür gewinnen ihre Zeichen durch die künstlerische-abstrahierende Verfremdung, die immer zugleich eine Verschlüsselung bedeutet, an magischer Kraft, die nicht unwesentlich zur faszinierenden Wirkung ihrer Bilder beiträgt. Sie konstituieren eine der Künstlerin eigene unverwechselbare Bildwelt, die - ganz im Sinne Cezannes - 'parallel' zur Natur besteht. Diese Kunst gibt, um hier abschließend noch einmal auf Paul Klee zurückzukommen, "nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar". Das oft bemühte Zitat Klees darf bei Dagmar Schmidt auf eine 'tätige Kraft' der Farbe bezogen werden, die Werner Haftmann einmal mit Blick auf William Turner als 'Evokationskraft' bezeichnet hat, die Imagination zu wecken vermag.
Es ist zu wünschen, daß Dagmar Schmidt ihren konsequenten künstlerischen Weg weiter beschreitet und noch vielen Betrachtern ihrer Werke ein Sinnenerlebnis der Farbe schenkt.
Dr. Ulrich Bock